Ein Tag im Tourismus – von Japanern, gefrorener Sahne und fehlenden Nordlichtern

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Was eine Nacht heute! Seit zwei Wochen habe ich nun die gemütliche Wärme der heimischen Wohnung gegen die Arbeit in einem Wildniscamp bei Kurravaara im Norden Schwedisch Lapplands eingetauscht. Es folgt ein kleiner Ausschnitt aus meinem Alltag im Camp:

Heute ist Nordlichttour mit 8 Japanern angesetzt. Guide Micha ist den ganzen Tag nicht zu sehen – er ist Richtung Gällivare verschwunden wo er zusätzlich als Snowscootertrainer arbeitet. D.h. Guide James aus England, Maren aus Deutschland und ich sind allein vor Ort und müssen für die 8 Tourteilnehmer alles vorbereiten. Das ist nach einem Tag, an dem man schon viele Kubikmeter Schnee im Camp bewegt hat, Holz gehackt und über Stunden den Hot Tub für Übernachtungsgäste angeheizt hat, gar nicht so einfach.

Also zuerst Nachmittags mit dem Scooter auf den See, mit Schnee und mitgebrachtem Wasser das „Colosseum“ vorbereiten. Das Colosseum ist ein art Iglu ohne Dach, in dem die Gäste später auf Rentierfellen am Feuer sitzen können und auf Nordlichter warten. Dort muss heute der Boden neu gemacht werden, weil selbiger durch das ständige Feuer angeschmolzen und verrusst war und einfach nicht mehr schön aussah. Es muss daher das mitgebrachte Wasser, welches glücklicherweise auf dem Weg zum Colosseum noch nicht gefroren ist, mit viel Schnee gemischt werden und das Ganze wird dann im Inneren des Colosseums festgestampft. Der Vorgang wird mehrfach wiederholt, und dann noch eine Lage Schnee drüber und fertig. Dachach dann die alten Sturmlichter einsammeln und zurück zum Camp. Dort dann den großen und den kleinen Schlitten (Hänger) vorbereiten, d.h. ein Zweisitzer und ein Sechssitzer. Die Sitzflächen mit Rentierfellen auslegen, Holz aufladen, rangieren, so dass sie für die Gäste gut zum Einsteigen stehen. Da man mit dem großen Schlitten nicht zurücksetzen kann, bedeutet das meist eine Runde über den See. Mit im Programm eine Kurve, in der ich in vergangenen Tagen schon zweimal fast den Scooter in den Wald gesetzt hatte, weil er dort mit dem großen Hänger (für mich noch) schwer zu steuern ist. Ging aber glatt, werde wohl langsam besser.

18:40 Uhr geht es dann für mich wieder mit dem Scooter auf den See (eigentlich der Fluss Torne, aber hier breit wie ein See), diesmal die neuen Sturmlichter setzen und anzünden, und in der Mitte das Feuer anfachen. Gar nicht so einfach bei inzwischen -35 °C ! Dunkel ist es inzischen schon seit Stunden.

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Dann wieder hoch zum Camp, James nimmt 6 Japaner im großen Hänger mit, ich 2 im kleinen. Mein erster Gästetransport mit Hänger (bisher hatte ich nur einmal eine Französin auf dem Sozius dabei). Aber zunächst geht erst einmal gar nichts, denn der grosse Scooter bewegt sich einfach nicht: Er hat zuviel Eis im Antrieb und ist völlig festgefroren. Also zunächst mühsam das Eis herausschlagen. Aber dann geht es endlich los. Natürlich fahren wir mit den Touristen eine längere und schönere Strecke, und nicht unseren „Arbeitsweg“. Schliesslich sollen sie das Wildnisgefühl auch voll auskosten können! Am Colosseum angekommen, heisst es dann Rentierfelle dort ausbreiten, damit alle sitzen können ohne anzufrieren. Und dann auf in den Smalltalk. Ich kann natürlich mit „Ich heiße Alexander.“ auf Japanisch punkten, was von den Japanern mit Ahhs und Ohhs gewürdigt wird.

Man hält mich offenbar mindestens für einen Schweden, wenn nicht sogar für einen Sami. Die Gäste vom Gegenteil zu überzeugen ist heute schier aussichtslos, sicher auch ein Sprachproblem. Die Gäste sind extrem dick angezogen, und frieren dennoch sichtlich. Haben aber Spaß – und nur darauf kommt es an. Bauen ihre Stative auf. Und warten. Wir erzählen ein wenig vom Fluss, auf dem sie gerade sitzen, da wird ihnen das erste Mal bewusst, dass unter ihnen 30-40cm Eis sind, und dann sehr viel Wasser. Wir machen Witze, springen auf und ab, um zu zeigen wie stabil das Eis ist. Übrigens der gleiche Fluss, aus dessen Eis das bekannte Eishotel gebaut wird.

Schon bald sind alle halb erfroren und wollen nur noch ins Warme, Nordlichter gibt es heute leider offenbar nicht. James nimmt diesmal den Zweisitzer für zwei Japaner die nicht gut zu Fuss sind, um sie direkt auf einem schwierigen Weg bis zur Kote zu fahren. Mit dem grossen Schlitten am Scooter schafft man es nicht bis dort. Ich muss mit dem 6-Sitzer hinter dem stärkeren Lastenscooter daher auf anderem Weg in die Nähe, und mit den Gästen dann noch zu Fuß weiter durch den Wald. Wieder eine Premiere für mich, zum ersten Mal mit vollem großen Schlitten hintendran nachts durch den Wald, und keinen Japaner verlieren, und bloß nicht festfahren – wäre das peinlich! Aber alles geht gut.

Der Fussweg zur Kote ist gottseidank mit Sturmlichtern gekennzeichnet, das war in der Zwischenzeit  Maren’s Aufgabe, wie auch das Anheizen des Feuers in der Kote und das Essen dort einzulagern.

Also alle Japaner rein in die Kote, und dann Lingonsaft heiß machen und servieren, Gespräche mit den Gästen, Essen vorbereiten, usw. Dummerweise ist es heute so kalt, dass sogar das Wasser für den Lingonsaft schon wieder gefroren ist. Dann mischen wir schnell gefrorenes geräuchertes Rentierfleisch mit gefrorenen Kartoffeln und gefrorenen Zwiebeln und Sahnesauce. Alles über dem offenen Feuer kochen und fertig ist der große Topf der für alle reicht. James erzählt den Japanern, dass Rentierfleisch das leckerste Fleisch der Welt ist (wobei wir als „Personal“ im Camp auch sehr gern mal etwas anderes zu uns nehmen, da wir ständig Rentier essen ;) ) … ich erzähle den Japanern, dass ich Rentierfleisch auch deshalb viel lieber als Kuh oder Schwein esse, da die Rentiere zu vor ein Leben in Freiheit hatten, in der wilden Bergwelt Lapplands. Dies wird von den Japanern wieder mit Ahhs und Ohhs und verständnisvollem Kopfnicken kommentiert.
Dann kommen die Moltebeeren. Hier braucht es wieder Hintergrundinformationen für die Gäste. Wo und wann kann man sie in den Wäldern Lapplands finden?  Am Rand von Sümpfen und Feuchtgebieten, aber nicht zu feucht. Und man muss halt wissen, wo genau sie stehen. Am besten Ende August, wenn der Herbst schon seinen ersten Anlauf nimmt. Und immer nur eine Beere pro Pflanze. Daher sind sie auch so wertvoll. Wieder großes Ahh und Ohh. Leider ist die Sahne trotz Feuer weiterhin so gefroren, dass die Japaner ohne Sahne auf den Moltebeeren auskommen müssen.

Aber sie wollen nicht mehr wie vorgesehen zum Colosseum zurück, sie sagen, es sei zu kalt, und bewundern uns wie wir das aushalten. Aber wir sind das halt von Kindesbeinen an gewohnt, so denken sie vermutlich. Sie sind sehr froh, dass sie in einem Hotel bei Kiruna untergebracht sind, und sind beeindruckt, dass wir hier draußen im Wald leben.

Also wird einfach weiter in der Kote am Feuer gegessen. Plötzlich fällt dann auf, das einer der Gäste sein grosses Fotostativ im Colosseum gelassen hat, also ich wieder auf den Scooter, und wieder runter zum See. Das Stativ ist aber so eingefroren, dass es sich weder zusammenklappen, noch zusammenschieben lässt. Ich muss also ein riesiges Gebilde (mit drei Beinen die wie Antennen in alle Richtungen zeigen) zwischen Oberschenkel und Armen auf dem Scooter balancieren, und muss dabei auch noch die Spur halten wie es rasant durch den Wald geht. Ein skurriles Bild. Hoffentlich bleibe ich mit den monströsen Antennen nicht irgendwo im Geäst hängen, denn die Bäume stehen eng hier!

Oben an der Kote angekommen, muss das Stativ erstmal am Feuer aufgetaut werden. Dann geht es für die Japaner auch schon wieder zurück. James fährt die beiden mit Gehproblemen zurück zum Transporter, ich führe den Rest zu Fuss durch den Wald. Dummerweise fährt James den Schlitten dann fest und verschwindet mit den Japanern, die sichtlich Spass an ihrem kleinen Wildnisabenteuer hatten, im Transporter Richtung Kiruna. Seine letzten Worte waren „It should come off easily once the sled is empty!“ … Nix kommt easily, ich habe verdammt viel Mühe, Scooter und den kleinen Hänger wieder aus der Schneewehe zu bekommen. Dann noch schnell alle Schlitten und Scooter vernünftig geparkt (mit dem großen heisst das wieder kleine Runde durch den Wald und über den See), die Rentierfelle in den Schlitten umgedreht damit das Fell nicht vereist und endlich zurück in unsere Hütte im Camp.

Bei diesen Temperaturen fühlt sich das eigentlich weiche und schön geschmeidige Rucksackmaterial an wie billigste, steife, knitternde Plastikfolie – fast wie Papier. Mein Rucksack lässt sich dann auch nach ein paar Minuten im Warmen immer noch nicht öffnen, da er total eingefroren ist, naja, meine Kamera wird es schon irgendwie überlebt haben. Auch meine Innenschuhe lassen sich zunächst nicht aus den Stiefeln lösen, da sie an der Spitze festgefroren sind! Gut, dass ich heute noch ein Extrapaar Socken anhatte. Und gut, dass der Scooter eine Griffheizung hat.

An manchen Tagen möchte man dann einfach nur noch ins Bett :-)

Dämmerung im Camp